Zum Inhalt springen
Startseite » Unsere Beiträge » Das sollten Sie über den in Wiesbaden getesteten Megabus wissen

Das sollten Sie über den in Wiesbaden getesteten Megabus wissen

  • von

In den nächsten Jahren soll der Anteil des öffentlichen Nahverkehrs am Verkehrsaufkommen weiter steigen. Doch schon heute ist das Bussystem in Wiesbaden auf den Hauptachsen überlastet. Für den Einsatz von noch mehr Bussen fehlt das Personal und der Platz. Ab einer bestimmten Fahrgastzahl ist ein ÖPNV-System mit vielen kleinen Einheiten zudem unrentabel. Da Löhne der größte Kostenfaktor im ÖPNV sind, steigt die Rentabilität je mehr Fahrgäste pro eingesetzten Fahrpersonal befördert werden. In Deutschland haben daher die meisten Städten über 200.000 Einwohner eine Straßenbahn. In Wiesbaden wird stattdessen vom 5. bis zum 17.Juni 2023 einen überlanger elektrischen Doppelgelenkbus des Typs HESS “lightTram 25 OPP” getestet.

Basel Doppel-Gelenkbus
Die elektrischen Doppelgelenkbusse in Basel verkehren auf der 8,5 km langen Linie 50 zwischen dem Flughafen und dem Basler Hauptbahnhof. In den Pausenzeiten muss die Batterie an einem Lademast am Flughafen geladen werden (Foto: Sammlung WNB)

Was sind die Besonderheiten des getesteten Bustyps?

Die augenfälligste Besonderheit des getesteten Busses des schweizerischen Herstellers Hess ist die Länge. Mit 24,4 Metern und einem zusätzlichen Fahrzeugsegment ist der Bus fast 6 Meter länger als die jüngst von ESWE beschafften Gelenkbusse. Mit dieser Länge überschreitet der Testbus die in Deutschland maximal zugelassene Länge für Lkw und Busse von 18,75 m (StVZO §32, Abs. 3). Der Einsatz ist daher nur mit einer Sondergenehmigung möglich.

Eine weitere Besonderheit ist der batterieelektrische Antrieb. Seinen Strom bezieht der Bus aus acht Batteriepacks, deren Kapazität insgesamt bei 533 kWh liegt. Davon werden aber nur 183 kWh genutzt, um die Lebensdauer der Batterie zu verlängern. Abhängig vom Klima und der Topographie liegt damit die Reichweite bei 40 bis 100 Kilometern 1https://www.bvb.ch/wp-content/bvb/dokumente/bussystem2027/E-Doppelgelenkbus-Hess.pdf. ESWE gibt eine Reichweite von “bis zu 200 Kilometer” 2https://www.eswe-verkehr.de/news/eintrag/eswe-verkehr-testet-doppel-gelenkbus-von-hess.html an. Um den Bus den ganzen Tag über zu betreiben ohne die Batterie zu sehr zu strapazieren, ist der Aufbau von Ladeinfrastruktur inklusive Stromversorgung an der Endstation notwendig. Diese besteht aus einem Lademast, der den Bus mit einer Leistung von 450 kW lädt.

Durch seine Länge und die 3 Tonnen schweren Batterien wiegt der überlange Bus leer 25,3 Tonnen. Das maximale Gesamtgewicht liegt bei 39,3 Tonnen. Damit überschreitet der Bus das zulässige Gesamtgewicht für Gelenkbusse, welches bei 28 Tonnen liegt (StVZO §34, Abs. 5). Auch deshalb ist eine Sondergenehmigung notwendig. Mit Achslasten von bis zu 10 Tonnen nutzt der Bus die Fahrbahnen so stark ab wie ein 40 Tonner-Sattelschlepper oder 160.000 Personenwagen 3Infrastrukturschäden durch den Straßengüterverkehr https://www.forschungsinformationssystem.de/servlet/is/39816/.

Innenansicht Hess Doppel-Gelenkbus
Innenansicht des Hess Doppel-Gelenkbus vom mittleren Segment nach hinten. In der Ausführung für Basel weist er lediglich 44 Sitzplätze auf. Dafür befinden sich in den Einstiegsbereichen große Mehrzweckflächen mit Ablagen für das Gepäck der Flug- und Bahnreisenden. Viele Sitze befinden sich auf Podesten und sind nur über eine Stufe erreichbar (Foto: Sammlung WNB)
Immer länger … Doppelgelenkbusse für Wiesbaden? – Kapazität, Kosten und Nebenwirkungen.

Wieviel Menschen passen in einem Doppel-Gelenkbus?

ESWE und die Basler Verkehrsbetriebe nennen für den getesteten Hess Doppelgelenkbus 44 Sitz- und 162 Stehplätze. Im Bus selbst sind allerdings nur 146 Stehplätze ausgewiesen. Bei realistischer Betrachtung ist die Stehplatzzahl allerdings wesentlich niedriger. Denn die zugelassene Personenzahl ist hoch genug, dass sie auch bei einem aus Fahrgastsicht “überfüllten” Bus noch eingehalten wird. Nur das Erreichen des zulässigen Gesamtgewichts, nicht aber der tatsächliche Platzbedarf der Fahrgäste, spielt bei ihrer Berechnung eine Rolle. Realistischere Werte erhält man, wenn man den Empfehlungen des Verbandes deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) folgt. Wie bei Schienenfahrzeugen gehen diese von 4 Personen pro Quadratmeter Stehfläche als zumutbare Belegung aus. Nach dieser Berechnung kommen die Züricher Verkehrsbetriebe für ihre dem Testbus ähnlichen Trolleybusse auf lediglich 104 Stehplätze 4https://www.stadt-zuerich.ch/vbz/de/index/die_vbz/fahrzeuge/trolleybusse/hess-doppelgelenk-trolleybus-plus.html. Um selber die Platzzahl abzuschätzen, haben wir die Sitzplätze (blau) und die Stehplätze (gelb) in untenstehendes Bild eingezeichnet. Pro stehenden Fahrgast gehen wir von einem Quadrat mit 0,50 m Seitenlänge (also 0,25 Quadratmetern) aus. Demnach passen etwa 140 Menschen in einem Doppel-Gelenkbus, das sind 40% mehr als bei den derzeit längsten Bussen der ESWE. Der Raumgewinn bietet aber hauptsächlich zusätzliche Stehplätze. Um die Attraktivität des ÖPNV zu steigern, wäre aber auch eine Erhöhung der Sitzplätze wichtig.

Vergleich Fahrgastkapazität Gelenkbus (19 m) und Doppel-Gelenkbus (25 m)
Durch den zusätzlichen Wagenteil steigt die Fahrgastkapazität des Doppel-Gelenkbus gegenüber einem 19m-Gelenkbus um ca. 40%. Unter Berücksichtigung des tatsächlich vorhandenen Platzes und je nach Sitzplatzzahl liegt die realistische Kapazität eine Doppel-Gelenkbus zwischen 140 und 155 Plätzen (davon 44-60 Sitzplätze) (Grafik: Wiesbaden neu bewegen e.V.)

Welche Investitionen sind notwendig?

Doppelgelenkbusse werden nur von wenigen Herstellern 5bekannt sind uns die Hersteller Hess (Schweiz), Solaris (nur O-Bus, Polen) und Van Hool (Belgien)angeboten. Daher liegen Preise über denen von Bussen in gängigen Längen. Die Baseler Verkehrsbetriebe geben den Kaufpreis für den Hess Doppelgelenkbus in der Batterievariante mit umgerechnet 1,74 Mio. Euro/Stück an. Zum Vergleich: Für einen 18 Meter langen Elektro-Gelenkbus Typ Mercedes eCitaro bezahlte Basel 991.827 Euro. Doch mit dem Kauf der Busse alleine ist es nicht getan. An den Endstellen werden Lademasten (ca. 250.000 Euro/Stück ohne Bauarbeiten) und je nach Ausbau des Stromnetzes zusätzliche Leitungen benötigt. Da die Batterien von Elektrobussen im Laufe der Zeit an Kapazität verlieren, sind auch die Kosten für Ersatzbatterien einzurechnen. Der Batteriepreis macht etwa ca. 25% des Fahrzeugpreises aus. Nicht zu vergessen ist auch der Ausbau der Streckeninfrastruktur: Haltestellen müssen auf eine Länge von mindestens 25 Meter, bei mehreren Linien sogar auf 50 Meter ausgebaut werden. Aufgrund der höheren Achslasten müssen Fahrbahnen in kürzeren Abständen erneuert werden – alternativ weitere Streckenabschnitte mit dicken Betonfahrbahnen ausgebaut werden. Auch für die unterirdische Infrastruktur kann die stärkere Straßenbelastung negative Konsequenzen haben.
Weiterhin benötigen die Busse eine Betriebshofinfrastruktur, die auf die überlangen Fahrzeuge ausgerichtet ist. ESWE-Geschäftsführer Jan Görnemann macht eine Beschaffung dieses Fahrzeugtyps daher vom Bau eines neuen Betriebshof abhängig.

Baustelle mit speziellen Bordsteinen für Bushaltestellen
Für den Einsatz überlanger Busse müssen Haltestellen auf bis zu 50 Meter verlängert werden. Die Planungs- und Baukosten dafür, müssen bei einer Entscheidung berücksichtigt werden (Foto: Wiesbaden neu bewegen e.V.)

In welchen Städten wird der Bustyp schon eingesetzt?

In der Schweiz kommen die Doppel-Gelenkbusse des Typs “lightTram 25” überwiegend als Oberleitungsbusse zum Einsatz (z.B. in Zürich, Winterthur oder Luzern). Durch die direkte Stromversorgung beim O-Bus sind keine schweren Batterien notwendig und der Bus kann den ganzen Tag ohne Ladepausen eingesetzt werden.
Basel, das eine Straßenbahn aber keine Busoberleitungen mehr besitzt, hat den Bustyp in einer rein batterieelektrischen Variante beschafft. Eingesetzt werden die Doppel-Gelenkbusse dort auf der Strecke zwischen den außerhalb des Stadtgebiet liegenden Flughafen und dem innerstädtischen Bahnhof Basel SBB. Am Flughafen war genügend Platz um zwei Lademasten zu errichten, an denen die Batterien nachgeladen werden können.
In Deutschland setzt derzeit keine andere Stadt Doppel-Gelenkbusse ein, sind in den größeren Städten auf den Hauptachsen meist Schienenverkehrsmittel vorhanden. Auch Hamburg und Aachen, die wie Wiesbaden keine Straßenbahn haben, setzten Diesel-Doppelgelenkbusse ein. Gegenüber normalen Gelenkbussen erwiesen sich der dort eingesetzte Typ eines anderen Herstellers aber als deutlich störanfälliger und wurden nach 13 Jahren ausgemustert 6https://omnibus.news/tschuess-xxl. In Wiesbaden sollen Hersteller dagegen eine Lebensdauer von 20 Jahren garantieren. Ob sie dazu bereit sind ist fraglich. Schließlich setzt der tägliche Betrieb auf nicht immer ebenen Straßen nicht nur den Gelenken der Fahrgäste, sondern auch denen des Busses zu.

0 0 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

1 Kommentar
Ältest zuerst
Neuest zuerst Beliebtest zuerst
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
Michael Georgi

Michael

“Reichweite je nach Topographie und Klima 40 bis 100 km” – das ist wenig!

Also, wenn auf der 4 der Doppelgelenkbus auf der Strecke Biebrich-Kohlheck den Biebricher Berg und die Steigung zum Kohlheck 2x rauf und herunter gefahren ist (4 Teilstrecken), dann muß er zumindest im Winter zurück zum Laden in den Betriebshof (8-10 Stunden). Das wird wenig effektiv, denn für einen Tagesumlauf von ca. 4:00 bis nach 0:00 Uhr bräuchte man nacheinander dann 6-7 solche Busse! Die Schweizer sind halt schlauer als die immer alles besser wissenden Wiesbadener, denn sie haben an den beiden Endpunkten Ladeausleger vorgesehen. Aber wahrscheinlich würden die ja auch das “unvergleichlich schöne Wiesbadener Stadtbild” stören, so wie seinerzeit die wiederholt abgelehnten Profil-Schutzrahmen als Anprallschutz an der Flachstraßenbrücke. Aus dem mit Dutzenden wirklich historischen Bauten aus fast 2 Jahrtausenden gesegneten Mainz kann man über solche Argumente nur mitleidig lächeln…..

Über Mainz (und anderen Straßenbahnstädten) lacht die Sonne, über Wiesbaden die ganze Welt!

Kategorie
ÖPNV
1
0
Hinterlasse gerne einen Kommentar.x