- Bushersteller berechnen die Kapazitäten ihrer Busse auf Basis der erlaubten Zuladung . Somit wird die in den Bussen angeschriebene Stehplatzzahl vom Eigengewicht des Busses und nicht von der für die Fahrgäste zu Verfügung stehenden Fläche bestimmt. So kommen Hersteller auf Fahrgastkapazitäten von bis zu 150 Personen in einem 18-Meter-Gelenkbus.
- Um diese Kapazitäten zu erreichen, müssten in den Wiesbadener Busmodellen sechs bis sieben Personen pro Quadratmeter stehen. (siehe unser aktueller Artikel betreffend Wiesbaden)
- Der Verband deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) hat daher ein einheitliches, realistisches Verfahren für alle Verkehrsmittel definiert. Nach diesem fassen Gelenkbusse knapp 100 Menschen, Solobusse knapp 70.
- Verkehrsunternehmen setzen davon 65% als durchschnittliche Zielauslastung fest – sind die Fahrzeuge dauerhaft voller, passen zum Beispiel Rollstühle oder Kinderwagen nicht mehr hinein und die Fahrpläne sind nicht einzuhalten.
Die Frage, wie viele Menschen in einen Bus passen, ist ein immer wiederkehrendes Streitthema. Die Kapazität eines Verkehrsmittels ist eine der grundlegenden Größen für einen soliden Kostenvergleich zweier Systeme. Beim direkten Vergleich von Bussen und Straßenbahnen wird allerdings oft übersehen (oder gar bewusst verschwiegen), dass der Berechnung der Fahrgastkapazitäten zwei grundsätzlich verschiedene Methoden angewandt werden.
Während Straßenbahnhersteller ihre Stehplatzkapazitäten meist auf Grundlage der Stehfläche berechnen, nutzen viele Bushersteller die maximale Zuladung. Um dieses Problem auszumerzen, hat der Verband deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) bereits 1990 eine einheitliche Berechnungsmethode für Fahrgastkapazitäten festgesetzt.
Berechnung der Kapazitäten: VDV
Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen legte in seiner Richtlinie zur Bestimmung des Fassungsvermögens von Fahrzeugen des Personenverkehrs eine einheitliche Berechnungsmethode fest. Die Frage, wieviele Menschen in ein Fahrzeug passen, lässt sich damit gleichermaßen beantworten – egal, ob es sich um einen Bus, eine Straßenbahn, eine U- oder S-Bahn (…) handelt.
Die Anzahl an Sitzplätzen ist relativ einfach zu ermitteln. Zur Ermittlung der Stehplätze legte der VDV darüber hinaus fest:
Die Zahl der Stehplätze für Fahrgäste unter Berücksichtigung von 0,25 m² Stehplatz, unabhängig von der jeweils zugelassenen Platzzahl gemäß StVZO und BOStrab, ergibt sich aus der Division: Stehplatzfläche (m²)/0,25 m².
Quelle: VDV, Richtlinie zur Bestimmung des Fassungsvermögens von Fahrzeugen des Personenverkehrs für statistische Zwecke 1www.mobi-wissen.de/files/platzkilometer_ebene2.pdf
Nach dieser Methode ergibt sich die gesamte Kapazität eines Fahrzeugs also aus der Anzahl an Sitzplätzen plus vier Personen pro Quadratmeter Stehfläche. Diese VDV-Methode ist außerdem Grundlage des Nahverkehrsplanes2Der Nahverkehrsplan arbeitet pauschal mit insgesamt 100 Plätzen pro Gelenkbus und 70 Personen pro Solobus. der Stadt Wiesbaden und Empfehlung des Bundesverkehrsministeriums.
Nicht jeder Bereich im Fahrzeug gilt allerdings als Stehfläche. So sind beispielsweise ausdrücklich ausgenommen: der Sichtbereich links und rechts vom Fahrer, Flächen mit nicht ausreichender Stehhöhe (unter 170 Zentimeter), Trittstufen und Flächen, die von den Türen zum Öffnen benötigt werden. Auch 30 Zentimeter vor den Sitzen soll nicht gestanden werden – irgendwo müssen die Beine der sitzenden Fahrgäste ja hin.
Berechnung der Kapazitäten: Herstellerangaben
Dem Gegenüber steht die Kapazitätsermittlung von Busherstellern. Diese halten sich bei den Angaben an die Straßenverkehrs-Zulassungsordnung (StVZO) – das Ergebnis findet sich zum Beispiel auch auf den Aufklebern im Fahrerbereich der Busse. In der StVZO heißt es dazu:
Bei der Berechnung der zulässigen Zahl der Plätze sind unter Berücksichtigung des Leergewichts, des zulässigen Gesamtgewichts und der zulässigen Achslasten des Fahrzeugs folgende Durchschnittswerte anzusetzen:
(I) 68 kg als Personengewicht,
(II) 544 kg/m2 als spezifischer Belastungswert für Stehplatzflächen
Quelle: Straßenverkehrs-Zulassungsordnung Anlage XIII3https://www.jurion.de/gesetze/stvzo/anlage_13/
Rechnerisch lässt der Gesetzgeber also bis zu acht Personen pro Quadratmeter Stehfläche zu (544 kg/m² / 68kg). Für konkrete Busse sind diese Werte dann aufgrund der Achslast niedriger. Um das zu verdeutlichen, seien die beiden Methoden anhand dreier Busmodelle, die sowohl bei der ESWE als auch bei der BVG/MVG im Einsatz sind, demonstriert. 4Obwohl es dieselben Modelle sind, weichen die Sitzplatzzahlen geringfügig voneinander ab – die konkrete Innenraumgestaltung bestimmt letztlich der Verkehrsbetrieb. Dieser Unterschied wird aber hier ignoriert. Da die ESWE in allen drei Fällen aber mehr Sitzplätze bestellt hat als die BVG/MVG und Sitzplätze mehr Platz verbrauchen als Stehplätze, würden sich diese Unterschiede allesamt auf eine rechnerisch höhere Stehplatzdichte in den ESWE-Bussen laut Hersteller auswirke. Es treten ebenso geringfügige Rundungsdifferenzen auf.
Citaro O530 LE | Lion’s City | Lion’s City G | |
Solobus (ESWE) (BVG) | Solobus (ESWE) (MVG) | Gelenkbus (ESWE) (MVG) | |
Sitzplätze | 38 (ESWE) / 34 (BVG) | 37 (ESWE) / 31 (MVG) | 53 (ESWE) / 48 (MVG) |
Stehplätze nach VDV | 38 | 28 | 55 |
Stehfläche | 9,5 m² | 7 m² | 13,75 m² |
Stehplätze lt. Hersteller | 57 | 45 | 97 |
⇉ Personen pro Quadratmeter lt. Hersteller | 6 | 6,4 | 7 |
Um die Herstellerangaben zur Kapazität zu erreichen, müssten in Wiesbadens Bussen also 6 Personen (Solobus) bzw. 7 Personen (Gelenkbus) auf jedem Quadratmeter Stehfläche stehen. Das ist auch ohne Gepäck oder Kinderwagen jenseits des machbaren.
Der Gesetzgeber schreibt hier eine Berechnungsmethode vor – in der Praxis sind die Werte jedoch nicht erreichbar. Seriöse Vergleiche zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln basieren daher konsequent auf der vom VDV vorgeschlagenen Methode. Leider verwenden viele Busbetreiber (inklusive der ESWE Verkehr) aber die Herstellerangaben auf deren Homepages.
Der Unterschied beider Berechnungsmethoden ist signifikant: So kann ein Gelenkbus MAN Lion’s City G laut Hersteller 150 Personen befördern – laut VDV aber nur 103. Derartige Abweichungen haben massive Konsequenzen für Aussagen über beispielsweise Fahrzeugauslastung.
Als postiv Beispiele seien hier die Berliner Verkehrsgesellschaft – BVG 5https://unternehmen.bvg.de/de/Unternehmen/Profil/Bus/Fahrzeuge und die Münchner Verkehrsgesellschaft – MVG6https://www.mvg.de/ueber/das-unternehmen/fahrzeuge.html angeführt, die auf Ihren Internetseiten die Kapazitäten mit der VDV-Methode ausgeben.
Ein brauchbarer Vergleich von Kapazitäten der Straßenbahnen und Busse setzt dieselbe Berechnungsgrundlage voraus. Was dies bedeutet – also die “Straßenbahnmethode” auch auf Busse anzuwenden, haben wir oben nachgerechnet. Natürlich geht die Angleichung (zumindest rechnerisch) auch in die Gegenrichtung. Wie sehr verändern sich die Kapazitäten von Straßenbahnen, wenn die Herstellermethoden der Bushersteller angewandt werden? Wir rechnen das anhand der Mainzer Modelle nach. Das Ergebnis: Mehr als 100 Plätze Unterschied.
DUEWAG M8C | AEG GT6M | Stadler Variobahn | |
---|---|---|---|
Sitzplätze | 54 | 46 | 73 |
Stehplätze nach VDV (4 Pers/m²) | 86 | 97 | 112 |
⇉ Kapazität nach VDV | 140 | 143 | 185 |
Stehfläche | 21,5 m² | 24,75 m² | 28 m² |
Stehplätze bei (8 Pers/m²) | 171 | 218 | 224 |
⇉ Kapazität nach Methode der Bushersteller | 225 | 264 | 297 |
⇉ delta | 85 | 121 | 112 |
Die Anzahl Stehplätze bei einer Belegung von acht Personen pro Quadratmeter entstammt einer direkten Nachfrage bei der Mainzer Mobilität.
Zielauslastung im ÖPNV
Ist ein Bus, der mit vier Personen pro Quadratmeter Stehfläche gefüllt ist, nun aber voll? Klare Antwort: Ja.
Bei genauerer Betrachtung ist er bereits übervoll. Denn wenn konsequent sämtliche Stehflächen mit 4 Personen auf jedem Quadratmeter belegt sind, ist für Gepäck, Rollstühle und Co kein Platz mehr. So stellte der Berliner Senat zum Beispiel fest:
Der VDV-Standard berücksichtigt jedoch nach Ansicht des Senats nicht angemessen den erhöhten Platzbedarf von Fahrgästen mit Gepäck, Kinderwagen, Rollstühlen u.a.m.
Quelle: Anfrage zur Kapazitätsermittlung der BVG im Berliner Abgeordnetenhaus7https://www.stiftung-naturschutz.de/fileadmin/img/pdf/Kleine_Anfragen/S17-16797.pdf
Eine 100%ige Auslastung ist allerdings nicht nur deshalb problematisch. Denn: bei zu vollen Bussen dauert das Ein- und Aussteigen erheblich länger. So stellte der Senat ebenfalls fest, dass
(…) die Einhaltung des Fahrplans bei Bussen mit einer 100%igen Auslastung nach VDV-Standard problematisch [ist], da i.d.R. alle Gangflächen als Stehplatzflächen mitgerechnet werden und sich dadurch der Fahrgastwechsel bei Vollauslastung erheblich verzögert.
Quelle: Anfrage zur Kapazitätsermittlung der BVG im Berliner Abgeordnetenhaus8https://www.stiftung-naturschutz.de/fileadmin/img/pdf/Kleine_Anfragen/S17-16797.pdf
Eine Auslastung von 100% mag auf kurzen Strecken funktionieren – mehr aber auch nicht. Denn ein Transportmittel, in welches man (a) nicht mehr rein passt und welches (b) aufgrund deutlich erhöhter Ein- und Aussteigezeiten seinen Fahrplan nicht hält, ist alles andere als attraktiv. Zumal sich Busverspätungen oft gegenseitig aufschaukeln. Das hat dann auch nichts mit einem häufiger unterstellten Komfortanspruch zu tun – es wird schlichtweg die Transportaufgabe nicht mehr erfüllt.
Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, hat der VDV ebenfalls eine Zielauslastung definiert; also eine Auslastung, bei der ein Fahrzeug als voll angesehen werden kann, der Fahrplan und die Sicherheit aber nicht darunter leidet. Diese liegt laut VDV bei 65% der Gesamtkapazität9Verkehrserschließung und Verkehrsangebot im ÖPNV, 2001.
Inklusive Gepäck, Kinderwagen, Rollstühle, Rollatoren und Fahrgastwechsel sind also Gelenkbusse mit mehr als 65 Personen an Bord (bzw. Solobusse mit mehr als 45) als voll anzusehen. Auf kurzen Abschnitten oder einzelnen Fahrten lässt sich eine Überschreitung nicht vermeiden – als Dauerzustand ist das aber kontraproduktiv. Daher schreibt der Berliner Senat den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) vor,
(…) dass in einem 20-Minuten-Intervall das Fahrgastaufkommen in keinem Streckenabschnitt größer als 65% der Gesamtkapazität aus Sitz- und Stehplätzen (Berechnung nach VDV-Standard) sein soll.
Quelle: Anfrage zur Kapazitätsermittlung der BVG im Berliner Abgeordnetenhaus10https://www.stiftung-naturschutz.de/fileadmin/img/pdf/Kleine_Anfragen/S17-16797.pdf
Die Formulierung hier zeigt, dass auch der Senat weiß, dass sich Überschreitungen nicht verhindern lassen – das Fahrplanangebot soll aber so gestrickt werden, das das auf definierten Streckenabschnitten nicht dauerhaft geschieht.
- 1www.mobi-wissen.de/files/platzkilometer_ebene2.pdf
- 2Der Nahverkehrsplan arbeitet pauschal mit insgesamt 100 Plätzen pro Gelenkbus und 70 Personen pro Solobus.
- 3https://www.jurion.de/gesetze/stvzo/anlage_13/
- 4Obwohl es dieselben Modelle sind, weichen die Sitzplatzzahlen geringfügig voneinander ab – die konkrete Innenraumgestaltung bestimmt letztlich der Verkehrsbetrieb. Dieser Unterschied wird aber hier ignoriert. Da die ESWE in allen drei Fällen aber mehr Sitzplätze bestellt hat als die BVG/MVG und Sitzplätze mehr Platz verbrauchen als Stehplätze, würden sich diese Unterschiede allesamt auf eine rechnerisch höhere Stehplatzdichte in den ESWE-Bussen laut Hersteller auswirke. Es treten ebenso geringfügige Rundungsdifferenzen auf.
- 5https://unternehmen.bvg.de/de/Unternehmen/Profil/Bus/Fahrzeuge
- 6https://www.mvg.de/ueber/das-unternehmen/fahrzeuge.html
- 7https://www.stiftung-naturschutz.de/fileadmin/img/pdf/Kleine_Anfragen/S17-16797.pdf
- 8https://www.stiftung-naturschutz.de/fileadmin/img/pdf/Kleine_Anfragen/S17-16797.pdf
- 9Verkehrserschließung und Verkehrsangebot im ÖPNV, 2001
- 10https://www.stiftung-naturschutz.de/fileadmin/img/pdf/Kleine_Anfragen/S17-16797.pdf