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Der Elefant im Raum: die fehlende Straßenbahn zwischen Wiesbaden und Mainz

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S8 und S9 sind über drei Wochen ausgefallen, der Schienenersatzverkehr war schlecht konzipiert und kommuniziert, die Politik befasste sich mit dem Thema und forderte von DB und RMV die Prüfung eines S-Bahn-Pendelverkehrs zwischen Wiesbaden und Mainz.

Vieles in der Wiesbadener Verkehrspolitik drehte sich um die Streckensperrung im Bahnnetz und die Auswirkungen für die S-Bahnen in und um Wiesbaden. Und ein Verkehrsmittel kam in der gesamten Diskussion nicht zu Wort:

Die Straßenbahn.

Drei Anläufe gab es bisher, um eine Straßenbahn – nach der vorerst letzten Fahrt im Jahr 1955 – in Wiesbaden erneut zu etablieren:

  • Der erste Anlauf (unter dem Namen “Stadtbahn”) ab 1997 wurde – obwohl das Projekt bereits beschlossen und durchfinanziert war – nach der Kommunalwahl im Jahr 2001 (welche eine beispiellose Anti-Stadtbahn-Kampagne der FDP sah) beendet. Die erste Linie hätte Bad Schwalbach, Wiesbaden und Mainz verbunden.
  • Der zweite Anlauf erfolgte 2011, als die Stadtverordnetenversammlung beschloss, erneut die Einführung eines schienengebundenen Nahverkehrs in Wiesbaden zu untersuchen. Dem Projekt mit den Arbeitstiteln CityLink, WiBahn und RegioBahn Wiesbaden wurden deutlich positive Nutzen-Kosten-Faktoren beschieden. Anvisiert war im Jahr 2012 ein Baubeginn für 2015 und die Inbetriebnahme bis 2018.  Nur wenige Monate später im April 2013, wird auch dieses Projekt gestoppt: Das Hessische Wirtschaftsministerium – damals geführt von Florian Rentsch (zeitgleich Kreisvorsitzender der Wiesbadener FDP) – hat das Projekt schlicht nicht zur Förderung beim Bund angemeldet.
  • Der letzte Versuch ab 2017 (unter dem Projektnamen “Citybahn”) hätte – mit der ersten geplanten Linie – die beiden Landeshauptstädte mit diesem leistungsfähigen Schienenverkehrsmittel verbinden sollen. Auch hier war bereits alles von den Volksvertretern – mit breiter Mehrheit – beschlossen worden. Auch hier gab es erneut eine Anti-Straßenbahn-Kampagne mit beispielloser Fehlinformation und purer Blockade-Haltung der “Gegner” ohne Möglichkeit einer sachlichen, unemotionalen Auseinandersetzung mit Argumenten, Varianten oder ähnlichem.

Es ist sicher fraglich, ob aktuell bereits eine Straßenbahn zwischen Wiesbaden Hauptbahnhof und Mainz Hauptbahnhof fahren würde, wenn dem Citybahn-Projekt im November 2020 zugestimmt worden wäre. Die vorherigen Anläufe – so sie erfolgreich verlaufen wären – wären jedoch sicherlich schon “auf die Schienen gesetzt”.

Aber bekanntlich ist nach dem SEV vor dem SEV. Und daher stellt sich aktuell durchaus die Frage: was ist mit der Straßenbahn?

Warum ist eine Straßenbahn in einem SEV-Szenario sinnvoll?

Fahrgäste, die den ÖPNV beispielsweise zwischen Wiesbaden und Mainz zum Pendeln benutzen, haben dafür normalerweise folgende Möglichkeiten:

  • S-Bahn-Linie S8
  • Regionalbahn-Linie RB 75
  • Stadtbuslinie 6
  • (Stadtbuslinie 74; lassen wir aber aus der Betrachtung fortan heraus, da sie nicht da Mainzer Zentrum anfährt)

Jetzt fiel die S8 weg. Die Menschen mussten sich dennoch irgendwie zwischen Wiesbaden und Mainz bewegen. Das konnten sie entweder innerhalb des ÖPNV machen – sprich sie nutzten eine der anderen oben genannten Verbindungen. Manche nutzten vielleicht auch Umstiegsverbindungen z.B. am Bahnhof Mainz-Kastel.

Dann gab es für manche die Möglichkeit, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren oder vermehrt Home Office zu machen. Und es gab die Möglichkeit, den Umweltverbund (Fuß, Rad, ÖPNV) zu verlassen und aufs Auto umzusteigen, entweder als Mitfahrer oder mit einem eigenen Auto, was sonst zuhause stehen würde.

Letztere Variante ist weder aus klimapolitischer Sicht wünschenswert, noch ist sie dem Verkehrsfluss zuträglich, da so noch mehr Autos auf die Straßen gebracht würden und somit zu mehr Verzögerungen, Staus etc. führen würden.

Daher muss der Umweltverbund insgesamt und der öffentliche Personennahverkehr im Besonderen ein gewisses Maß an Resilienz haben. Er muss also die Möglichkeiten haben, solche Teilausfälle im System selbst auffangen zu können.

Hier käme die Straßenbahn ins Spiel. Diese könnte genau das für unser Beispiel leisten. Durch die weitestgehend eigenständige Trasse wäre sie vom restlichen Verkehr ungestört und somit zeitlich sehr zuverlässig. Die Kapazitäten einer Straßenbahn übersteigen die eines Busses deutlich. Und durch Mehrfachtraktion, also das Aneinanderhängen von Wagen ließen sich Kapazitäten erhöhen, ohne mehr Fahrpersonal zu benötigen.

Wie steht Wiesbaden gerade beim Thema Straßenbahn?

Gelinde gesagt sehr dürftig. Seit dem Bürgerentscheids-Nein im November 2020 herrschte jahrelang Funkstille bzgl. einer Straßenbahn. Das Thema war verbrannt.

Im Zuge der Diskussion um das Ostfeld und die dortige Verkehrsanbindung kommt das Thema sehr langsam wieder auf. Stand heute ist für das Ostfeld eine schienengebundene ÖPNV-Anbindung eine Voraussetzung für den Bau.

Dafür hat die Stadt Wiesbaden verschiedene Machbarkeitsstudien (für verschiedene Varianten) in Auftrag gegeben, um das prüfen zu lassen. Ergebnisse der Studien:

  • Planfall 3: Eine Anbindung auf der Strecke vom Hauptbahnhof über DB-Gleise zum Nordende des Ostfeld, durch das Ostfeld und dann über DB-Gleise zum Mainzer Hauptbahnhof ist förderfähig. Aber aufgrund der hohen Auslastung des Mainzer Hauptbahnhofs ist sie fahrplantechnisch nicht umsetzbar. [1, 2]
  • Planfall 4: Eine Anbindung auf der Strecke vom Hauptbahnhof über DB-Gleise zum Nordende des Ostfeld, durch das Ostfeld, durch das Gewerbegebiet Petersweg und entlang der DB-Gleise zum Bahnhof Mainz-Kastel ist nur knapp förderfähig, würde aber voraussichtlich Umbauten im Bereich des Bahnhofs Mainz-Kastel benötigen, die dann wiederum die Förderfähigkeit gefährden würden. [3, 4]

Streckenführungen durch den Stadtteil Südost wurden nicht genauer betrachtet. Insgesamt schlussfolgert die Stadt, dass sie jetzt eine reine Busanbindung des Ostfelds prüfen möchte. So sagte es zumindest Planungsreferent Sven Kötschau aus dem Dezernat I der Stadt Wiesbaden im Ortsbeirat Kastel im November 2024. [5]

Was die Stadt damit nicht sagt: sie traut sich nicht, darüber zu sprechen, den Stadtteil Südost, der zwischen Hauptbahnhof und dem Nordende des Ostfelds liegt, ebenfalls mit der Ostfeld-Straßenbahn anzubinden. Oder sie will es nicht.

Insofern ist “sehr dürftig” mit Blick auf eine Straßenbahn in Wiesbadens Zukunft da wirklich gelinde ausgedrückt.

Unsere Forderung

Doch gerade die Rufe nach einem S-Bahn-Pendelverkehr zwischen Wiesbaden und Mainz belegen genau das, was wir als ein wichtiges Argument seinerzeit in der Straßenbahn-Diskussion angeführt haben: Resilienz im ÖPNV.

Die Stadt muss daher nun auch die Schlüsse daraus ziehen. Das bedeutet:

  • Wiesbaden braucht eine Straßenbahnverbindung nach Mainz.
  • Eine reine Punkt-zu-Punkt-Verbindung durch das Ostfeld am Rest von Wiesbaden vorbei ist keine Option. Es muss darüber gesprochen werden, mit dem Ostfeld mindestens auch Südost an die Straßenbahn anzubinden.

Der neue Nahverkehrsplan der Stadt tut das. Die beauftragten Planer sind an dieser Stelle sehr deutlich:

“Zusammenfassend wird es aus gutachterlicher Sicht als zwingend erforderlich erachtet, langfristig in den Bau eines hochwertigen kommunalen Schienenverkehrsmittels für Wiesbaden zu investieren, um die Mobilitäts- und Klimaziele zu erreichen. […] Es wird daher empfohlen, eine Entscheidung über die langfristige ÖPNV-Entwicklung zu fassen, die über die Gültigkeit dieses Nahverkehrsplans hinausgeht. Unabdingbar sind dabei die Entwicklung einer integrierten Gesamtnetzplanung, eine breite Beteiligung der Bevölkerung in allen Planungsschritten sowie eine parteiübergreifende Zusammenarbeit, Konsensfindung und Kompromissfähigkeit.” [6]

 Wie viele Winke mit dem Zaunpfahl braucht Wiesbaden noch? Und gerade an letzterem, der parteiübergreifenden Zusammenarbeit, Konsensfindung und Kompromissfähigkeit, mangelt es in Wiesbaden leider. Mobilität darf kein Spielball von Populismus und kurzfristiger Denke bis zur nächsten Wahl sein.


Quellen

[1] Schüßler-Plan / Mailänder Consult (2023): Machbarkeitsstudie schienengebundener
ÖPNV Wiesbaden Ostfeld. Bericht zur Machbarkeitsstudie. Planfall 3, https://piwi.wiesbaden.de/dokument/v/3360655 (Seite 274 f. im PDF-Dokument).

[2] sma (2023): ÖPNV-Anbindung Wiesbaden Ostfeld. Langfassung, https://piwi.wiesbaden.de/dokument/v/3360655 (Seite 569 im PDF-Dokument).

[3] Schüßler-Plan / Mailänder Consult (2023): Machbarkeitsstudie schienengebundener
ÖPNV Wiesbaden Ostfeld. Bericht zur Machbarkeitsstudie. Planfall 4, https://piwi.wiesbaden.de/dokument/v/3360655 (Seite 290 im PDF-Dokument).

[4] sma (2023): ÖPNV-Anbindung Wiesbaden Ostfeld. Langfassung, https://piwi.wiesbaden.de/dokument/v/3360655 (Seite 592 im PDF-Dokument).

[5] https://www.wiesbadener-kurier.de/lokales/wiesbaden/stadt-wiesbaden/ernuechternde-daten-zum-wiesbadener-ostfeld-4003706

[6] Gemeinsamer Nahverkehrsplan Landeshauptstadt Wiesbaden & Rheingau-Taunus-Kreis (2024), Teil B, Abschnitt 9.3, S. 289, https://piwi.wiesbaden.de/dokument/v/3404892.

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