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1 Jahr nach dem Citybahn-Aus, Teil 2: Bestandsaufnahme von Problemen der Stadt

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Wiesbaden ist schön. Die Vielzahl an Altbauten und die von Anfang an großzügig dimensionierten Hauptachsen („Prachtstraßen“) und Alleen prägen das Stadtbild. Wo viel Platz ist, ist jedoch der Verkehr nicht weit: So auch in Wiesbaden, wo die Straßen mit motorisiertem Verkehr, parkendem wie bewegtem, belastet sind. Dies führt unweigerlich zu einem hohen Maß an Lärm, Abgasen und Feinstaub, die in ihrer Gesamtheit nicht nur, aber insbesondere die direkten Anwohner:innen quälen. Oft übersteigen die Messwerte in Wiesbaden auf nationaler und EU-Ebene festgelegte Grenzwerte. Nicht umsonst hätte die Deutsche Umwelthilfe in Wiesbaden beinahe mit einer Klage zur Durchsetzung eines Dieselfahrverbots Erfolg gehabt. Nur durch das Eingreifen der Stadtregierung und eine Vielzahl in Aussicht gestellter Maßnahmen (z.B. mehr Bus- und Radspuren) konnten pauschale Fahrverbote abgewendet werden. Wer sich einen Überblick über die aktuelle Situation in Wiesbaden verschaffen will, dem empfehlen wir folgende Webseiten:

Wiesbaden ist schön. Einige Menschen hier verwechseln jedoch gerne die gewachsene Schönheit der Stadt mit Festhalten an Fehlentwicklungen, die der Kurstadt viel von ihrem ursprünglichen Charme genommen haben. So droht die Einzigartigkeit bald in einer rückwärtsgewandten Mobilität zu bestehen. Aber warum sollten sinnvolle Änderungen in Wiesbaden eigentlich nicht praktikabel sein oder funktionieren? Auch andere Städte haben Hügel, auch andere Städte haben prachtvolle Altbauten und Baumbestände. Wenn es auch in Freiburg, Heidelberg und Mainz möglich war und ist, einen attraktiven schienengebundenen ÖPNV zu entwickeln, warum sollte das nicht auch in Wiesbaden klappen? Die Einführung attraktiver Radwege zeigt doch: Wo diese entstehen, werden sie auch genutzt. Plötzlich ist auch hier in der Stadt in zunehmender Zahl ein bis dato seltenes Wesen zu sehen: Menschen auf Fahrrädern, zu allen Tages- und Jahreszeiten.

Das „Nein“ zur CityBahn hat die angespannte Lage im Wiesbadener ÖPNV nicht einfach aufgelöst. Im Gegenteil: Die Busse sind trotz Pandemie und mitten im Chaos um die gesperrte Salzbachtalbrücke längst wieder gut ge-, manchmal auch überfüllt. Der Takt auf den Innenstadtrouten ist nach wie vor so eng, dass eine weitere Verdichtung des Fahrplans unmöglich ist. Das liegt auch am fehlenden Fahrpersonal. Hier könnte sich die Lage durch Abwanderung bestehender Fahrer:innen sogar noch verschärfen, da der Busverkehr zwischen Mainz und Bad Kreuznach künftig massiv ausgebaut werden soll. Problematisch ist aus unserer Sicht auch, dass Busse in Wiesbaden – außerhalb des direkten Stadtzentrums – an viel zu wenigen Stellen auf den Straßen Vorrechte gegenüber Autos haben; vielfach fehlen Busspuren oder entsprechende Ampelschaltungen. Das führt dazu, dass Autofahrer:innen gar nicht erst auf die Idee kommen, umzusteigen. Motto: „Im Stau steh ich sowieso, da bin ich doch lieber für mich allein.“ 

Ganz grundsätzlich sehen wir ein Image-Problem im Wiesbadener ÖPNV. Die ESWE Verkehr trommelt nicht gerade für ihr Angebot – das bestehende wie neue. Dabei versuchen mittlerweile viele kommunale Verkehrsunternehmen, inspiriert von der Urmutter des modernen ÖPNV-Marketings, der BVG in Berlin, ihre Kommunikation inhaltlich und im Erscheinungsbild aufzufrischen. Wer nach Beispielen in unmittelbarer Nähe sucht, der muss nur einen Blick auf die andere Rheinseite werfen. Die ESWE hingegen lässt Bemühungen um ein einladendes, freundliches Image komplett vermissen. Aus unserer Sicht ist das eine verpasste Chance, mehr Menschen zum Umstieg zu animieren. Allzu oft scheint in manchem Wiesbadener Kopf das Mantra zu herrschen: „ÖPNV ist ne nette Sache; aber fahren sollen damit die anderen.“ 

Auch in Sachen Barrierefreiheit der Haltestellen gibt es in Wiesbaden noch viel Aufholbedarf. Während einige Haltestellen in den Vororten bereits vorbildlich umgebaut wurden, ist dies an deutlich stärker frequentierten Busstationen, z.B. in der Innenstadt, noch nicht flächendeckend passiert. Dabei ist die Umsetzung der Barrierefreiheit längst überfällig: Laut Personenbeförderungsgesetz (PBefG – nichtamtliches Inhaltsverzeichnis (gesetze-im-internet.de)) ist das gesetzte Ziel, bis zum 1. Januar 2022 – also in wenigen Wochen! – eine „vollständige Barrierefreiheit” für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs durch in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkte Menschen zu erreichen. 

Ausbaufähig sind aus unserer Sicht auch die Haltestellen-Konzepte im Wiesbadener Stadtgebiet. Für Außenstehende ist an Haltestellen mit mehreren Abfahrtsorten oft nicht nachvollziehbar, von wo ihr Bus nun abfährt. Dies führt zu Frustration und mindert die Attraktivität des ÖPNV in der Landeshauptstadt deutlich. Auch veraltete Begrifflichkeiten oder die unterschiedliche Benennung von Haltestellen, je nach Fahrtrichtung und/oder Straßenseite, machen die Nutzung des ÖPNV nicht intuitiv. 

Im bundesweiten Vergleich mit anderen Großstädten ist der Pro-Kopf-Besitz von Kraftfahrzeugen in Wiesbaden besonders hoch (siehe Karte zum Motorisierungsgrad in folgendem „Spiegel“-Beitrag: https://www.spiegel.de/auto/interaktiver-bremstest-von-tempo-200-auf-0-in-wie-vielen-metern-a-1836fdeb-1ad7-4f63-b50f-736a7af21b7b). Zudem ist das Stadtzentrum durch eine sehr dichte und hohe Bebauung geprägt, die aus der Zeit vor der Erfindung des Automobils stammt.  Entsprechend angespannt ist die Parksituation in der Innenstadt: Autos parken in zweiter Reihe, auf Radwegen, Bürgersteigen oder in Kurven. Dies behindert mitunter auch Rettungskräfte bei ihren Einsätzen. Insgesamt sind die Kosten fürs Parken in der Innenstadt aus unserer Sicht zu niedrig. Wenn ein Zweijahres-Parkausweis 23,50 Euro kostet, steht das in keinem Verhältnis zu den Kosten für die Parkraumbewirtschaftung bzw. die Grundstückspreise, die in der Innenstadt anderweitig aufgerufen werden. Von der Verschandelung des historistischen Straßenbilds durch zu viel Blech einmal abgesehen. Problematisch ist auch, dass nicht alle Parkhäuser in der City Anwohnerparken anbieten. Wer aus verschiedenen Gründen nicht auf sein Auto verzichten kann, der sollte sein Fahrzeug auch in der Innenstadt abstellen dürfen – dann allerdings zu einem realistischen Preis, der den Wert des genutzten öffentlichen Grundes angemessen abbildet. Als Vorbild sehen wir hier u.a. Tübingen. Die Stadt hat die Parkkosten dort zuletzt deutlich angehoben – und unterscheidet nun auch zwischen großen und kleinen Autos (Link: Tübingen: Höhere Gebühren für Anwohnerparken beschlossen – SWR Aktuell). Wir finden: Es ist nur fair, dass die Allgemeinheit den teuren Grund und Boden ausgerechnet dem in so vieler Hinsicht schädlichen und doch hoch subventionierten Autobestand nicht quasi kostenfrei (Verwaltungskosten sind derzeit höher als der Ertrag) zur Verfügung stellt. Es ist unfair, wenn ein doppelt so großes Auto nicht mehr zahlen muss als ein Kleinfahrzeug.

Radwege sind in Wiesbaden – wie in anderen Großstädten auch – immer wieder zugeparkt, etwa durch Lieferfahrzeuge oder Menschen, die „nur mal kurz beim Bäcker“ sind. Dies zwingt Fahrradfahrer:innen mitunter zu lebensgefährlichen Überholmanövern. Zwar hat die Stadt in den letzten zwei Jahren einiges an neuer Infrastruktur für Räder geschaffen, trotzdem gibt es hier noch jede Menge Nachholbedarf. Fahrradwege dürfen nicht einfach im „Nirgendwo“ enden, sondern sollten die gesamte Stadt vernetzen und – wie das für Autofahrspuren selbstverständlich ist – stets frei von Hindernissen sein. Als Verein sind wir der Überzeugung, dass Farbe auf der Straße allein noch keine Infrastruktur darstellt. Wenn ein Auto mit 50 km/h ein Fahrrad nur knapp überholt, kann das übel enden, und zwar immer für Radfahrende. Es gilt, solche Risiken zu minimieren – beispielsweise durch Poller, die die Radwege zu den Fahrbahnen hin begrenzen. Derartige Sicherheitsvorkehrungen sorgen langfristig für eine Attraktivitätssteigerung des Radverkehrs.

Im Fußverkehr stören zu enge Gehwege. Schuld daran sind unter anderem falsch parkende Autos. Aber auch als Gewohnheit geduldete Unsitten, wie „halbhüftiges“ Parken, die – zusätzlich verschärft durch schräges Parken – Fußwege über das heute vorgesehene Mindestmaß hinaus verengen. Aber auch Fahrradfahrer:innen, die sich (nachvollziehbarerweise) auf Fußwegen sicherer fühlen als auf der Straße, sind ein Problem. Der Fußverkehr profitiert, wenn der Radverkehr in sichere Bahnen gelenkt und Verstöße beim Falschparken schärfer geahndet werden.

Welche Probleme seht IHR?

Seht auch ihr allgemeine, die ganze Stadt betreffende, oder ganz konkrete, eine Straße/Ecke/ein Quartier betreffende Probleme im Verkehr in Wiesbaden? Einmal monatlich, in der Regel am 2. Dienstag im Monat, treffen sich Vereinsmitglieder abends zu einem Arbeitstreffen. Hierzu sind auch interessierte Nicht-Mitglieder herzlich eingeladen. Ganz neu ergänzen wir unser Arbeitstreffen mit einem „Interessierten-Treffen“. Hier könnt ihr uns in ganz lockerer Runde persönlich kennenlernen und konkrete Probleme benennen und Wünsche sowie Anregungen einbringen. Das nächste Arbeitstreffen findet am 9. November 2021 im “60/40” beim Schlachthof statt. Um 18 Uhr startet das Interessierten-Treffen, das dann um 19 Uhr formlos in unser reguläres Arbeitstreffen übergeht. Wir freuen uns immer über neue Gesichter, Meinungen und Argumente.

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